Das Tagebuch einer Verlorenen: la censura II

 

5 Dicembre 1929

          L'autorizzazione, data in un primo momento il 24 Settembre, viene revocata dall'Ufficio Superiore di Berlino con le motivazioni sotto riprodotte. Tale documento originale si trova in Margarete Böhme, Tagebuch einer Verlorenen, Suhrkamp, 1989

 

I.       Der Bildstreifen zeigt das Schicksal einer Apothekerstochter, Thymian, die durch den Freitod der Wirtschafterin ihres Vaters, vom den jene ein Kind erwartet, sehend wird. Die Aufklärung der eben Eingesegneten (Akt I, Titel 6) übernimmt Provisor Meinert ("ich werde Dir alles sagen" - Akt I, Titel 15), der die Ohnmächtige am Einsegnungstage in ihr Bett trägt und sie verführt. Thymians kind wird von der neuen Wirtschafterin des Apothekers, die er heiratet (Akt IV, Titel 4), zu einer Engelmacherin gebracht ("Sie ist halt gestorben" - Akt III, Titel 11 -). Die junge Mutter kommt auf Familienbeschluss (Akt II, Titel 8 - 10) in eine Erziehungsanstalt, aus der sie während einer Revolte durch Graf Osdorff befreit wird. In dem Bordell, in dem sich der von seinem Onkel verstoßene (Akt II, Titel 15 - 16) Graf aufhält, landet Thymian.
          Sie wird dort eingekleidet und erliegt noch am Tage ihrer Ankunft den Verführungen des Bordells. (Akt II, Titel 1). Später gibt sie "gymnastischen Unterricht" (Akt VI, Titel 9), der meist im Bett zu enden scheint. Um einem Bordellbesucher, der sein letztes Geld verschleudert hat (Akt VII, Titel 2) wieder aufzuhelfen, wird Thymian verlost (Akt VII, Titel 3). Der Auslosung wohnt ihr Vater, der das Bordell besucht, an (Akt VII, Titel 4). Er stirbt bald danach (Akt VII, Titel 10) und Thymians Verführer Meinert ersteht die Apotheke, indem er ihr Hypothek von 45.000 Mark auszahlt (Akt VII, Titel 18).
          Thymian ist auf Vorschlag der Bordellinsassen ("Er soll sie heiraten! Gräfin Thymian Osdorff - das ist das [Aushänge=] Schild!") (Akt VII, Titel 15 und 17) durch Heirat Gräfin Osdorff geworden und schenkt die 45.000 Mark den Kindern ihrer Stiefmutter, die Meinert aus dem Haus getrieben hat (Akt VII, Titel 16 und Akt VIII, Titel 2). In dem Augenblick, in dem der Graf erfährt, da
ß seine frau mittellos geworden ist, nimmt er sich das Leben. Als Gräfin besucht Thymian das Heim, dem sie als Fürsorgezögling angehört hat (Akt VIII, Titel 11).

II.      Die Preussische Regierung hat dem Widerruf des Bildstreifens beantragt, weil seine Vorführung geegnet sei, entsittlichend zu wirken. Wie der Vertreter der antragstellenden Landeszentralbehörde im Termin bekannt gegeben hat, ist der Antrag des preußischen Regierung von privater Seite und von folgenden zehn Jugendung Volkswohlfahrtsverbänden veranlaßt worden: der Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung, dem Centralausschuß für die innere Mission der deutschen evangelischen Kirche mit der Evangelischen Konferenz für Gefährdetenfürsorge und der Vereinigung evangelischer Frauenverbände Deutschlands, dem Evangelischen Reichs - Erziehungsverband e. V. mit der Reichskonferenz evangelischer Mädchenerziehungsheime, der Reichsschundkampfstelle der evangelischen Jungmännerbünde Deutschlands, dem Evangelischen Reichsverband weiblicher Jugend, sämtlich in Berlin, ferner dem Deutsch - evangelischen Frauenbund und dem Deutsch - evangelischen Frauenverband für Gefährdetenfürsorge, beide in Hannover, dem Evangelischen Fürsorgeverein und der Centrale der evangelischen Gefährdetenfürsorge für die Rheinprovinz in Oberdüssel, dem Westdeutschen Sittlichkeitsverein in Hagen i. W. und endlichdem Landshauptmann in Niederschlesien. Auf Grund einer Besichtigung des Bildstreifens hat sich die preußische Regierung den in den Eingaben der bezeichneten Verbände erhobenen Bedenken insoweit angeschlossen, als auch sie den Verbotsgrund der entsittlichenden Wirkung im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 des Lichtspielgesetzes für vorliegend erachtet hat. Im dem Widerrufsantrag wird hierzu folgendes ausgeführt: Durch die ebenso plumpe wie krasse Gegenüberstellung der abstoßenden Bilder in der Erziehungsanstalt, wo Verhältnisse gezeigt würden, die wohl nur in der Phantasie der Hersteller existierten, mit dem ebenso verzerrt gezeichneten Leben in einem Bordell, das als leicht, schön, bequem, ja geradezu erstrebenswert und verlockend erscheine, werde in dem Beschauer eine völlig falsche Vorstellung der Wirklichkeit erweckt. Die Darstellungen der Erziehungsanstalt würden einer gewissen grotesken Wirkung nicht entbehren, wenn sie nicht durch zahlreiche Einzelbilder belebt würden, die den Anschein naturgetreuer Wirklichkeit erwecken. Gerade dadurch werde der Gegensatz zu dem Bordell - Leben, das nirgends die schweren Gefahren auch nur andeute, denen die diesem Leben sich ergebenden Mädchen ausgesetzt seien, und das besonders durch die Figur der gutmütigen, mütterlich sorgenden Bordellinhaberin gegenüber der sadistischen Roheit der Erzieher fast sympathisch anmute, ins Unerträgliche gesteigert. Ein mit derartig verwerflichen Mitteln arbeitender Bildstreifen sei geeignet, entsittlichend zu wirken.
          Die Preussische Regierung hat demgemäß beantragt:
          die Zulassung des bezeichneten Bilstreifens für das Gebiet des Deutschen Reiches zu widerrufen.
          Der Vertreter der durch den Widerrufsantrag betroffenen Firma hat
          Abweisung des Widerrufsantrages
beantragt und der antragstellenden Landeszentralbehörde gegenüber darauf hingewiesen, daß diese ihrer Entschließung lediglich das Vorbringen der berufsmäßig zur Aufdeckung von Mißständen bestehenden zehn Verbände unterlegt und die Empfindungen des normalen Durchschnittbesuchers eines Lichtspieltheaters ebenso ungewürdigt gelassen habe wie die durchaus ernste und künstlerisch einwandfreie Absicht des Herstellers des Bildsteifens, der zahlreiche erstklassige und unanfechtbare Bildstreifen geschaffen habe. Diese gehe dahin, den Untergang eines wertvollen Menschen (Thymian) wegen mangelnder Elternliebe ("En wenig mehr Liebe, und niemand kann verloren sein auf dieser Welt" - Akt VII, Titel 21) im Rahmen einer bewußt übersteigerten, völlig unwirklichen Handlung zu zeigen.

III.      Dem Widerrufsantrag war stattzugeben.
          Den Ausführungen des Vertreters der durch den Widerrufsantrag betroffenen Firma gegenüber war zunächst festzustellen, daß gegenüber der den Prüfstellen und der Oberprüfstelle nach dem Gesetz obliegenden Wirkungsprüfung (Urteile der Oberprüfstelle vom 15. April 1925, 12 Juli. 1926, 12. Oktober 1927 und 19 März 1929 - nr. 14, 176, 926 und 263) die Absicht  des Herstellers für die  Beurteilung eines Bildstreifens völlig außer Ansatz zu bleiben hat. Dem Vertreter der Firma war ferner darin beizustimmen, daß nach dem Lichtspielgesetz die Verwendung jedes Milieus als Vorwurf für den dramatischen Aufbau eines Bildstreifens zugelassen ist. Dies aber nur insoweit, als durch die Darstellung keiner der absoluten Verbotstatbestände des § 1 Abs. 2 Satz 2 erfüllt wird (Urteil vom 5. Dezember 1925 - nr. 780 -). Das aber ist vorliegend der Fall.

IV.       Eine entsittlichende Wirkung geht nicht nur von einzelnen Passagen des Bildstreifens, sondern - darin befindet sich die Oberprüfstelle in völliger Übereinstimmung mit dem Antrag der preußischen Regierung - auch von seiner gesamten inneren Haltung aus. Entsittlichend wirken zunächst einzelne Bildfolgen, die im Haus des Apothekers spielen, wie die Vergewaltigung der willenlosen Thymian durch den Provisor Meinert. Entsittlichend wirkt die Darstellung der Engelmacherin (Hebamme), die unter Streicheln und mit freundlichen Blicken den Packen Geldscheine lächelnd an sich nimmt. In einem späteren Bilde wird dann der Erfolg des Schmiergeldes gezeigt: Der Sarg mit dem toten Kinde wird an der Mutter vorbei fortgetragen. Entsittlichend wirken die Bildfolgen, in denen gezeigt wird, wie Thymian durch Sekt betäubt und nachher vergewaltigt wird. Entsittlichend wirkt, wie die Mädchen mit den Herren nacheinander in den Schlafzimmern verschwinden und der Empfang des Geldes gezeigt wird (Morgensonne beim Erwachen der thymian, wie die Bordellmutter ihr den Briefumschlag mit dem Gelde zustecken will und schließlich von dem Gelde dem vertrottelten Grafen einen Schein in seine Jackettasche schiebt). Dasselbe gilt von der Figur des Dr. Vitalis, der die Mädchen retten will, aber doch schließlich immer wieder mitmacht (Akt VI, Titel 12). Entsittlichend wirkt endlich die Ausspielung Thymians im VII. Akt (Titel 1 - 3, 5 - 7).

V.        Von diesen Bildfolgen abgesehen, geht eine entsittlichende Wirkung von der breit ausgesponnenen Darstellung des Bordellebens aus, wie sie in diesem Bildstreifen enthalten ist. Der Bildstreifen veranschaulicht mit aller und in keiner Weise abstoßender, also abschreckender Deutlichkeit das leben in einem Bordell, das als leicht, schön, bequem und dadurch erstrebenswert und verlokkend hingestellt wird. Die Absicht und der sittliche Gedanke Thymians, eine ehrliche Arbeit zu ergreifen, nachdem sie das Treiben im Bordell als unzüchtig erkannt hat, wird von der Bordellmutter zunichte gemacht (Akt VI, Titel 2 - 9). Der Aufenthalt im Bordell erscheint ferner darum angenehm und erstrebenswert, weil die Wirtin als eine weichherzige Persönlichkeit gezeigt wird, die für die Mädchen sorgt, währhend unter den Mädchen selbst eine gute Kameradschaftlichkeit herrscht. Der Eindruck, daß es sich um eine löbliche Einrichtung handelt, wird durch die Einführung der Figur des Dr. Vitalis noch unterstrichen.
          Die Prüfstelle geht nicht soweit, wie es in der von dem Vertreter die Preußischen Regierung verlesenen Eingabe eines Beschwerdeführers ausgedrückt wird, hier von "Schweinerei" zu sprechen. Sie hat haber in zahlreichen Entscheidungen festgestellt, daß einer Darstellung eine entsittlichende Wirkung beizumessen ist, in der das Dirnenleben als etwas gegebenes, angenehmes und einfach abzuwerfendes dargestellt wird, ohne daß ein solches Leben als verwerflich und die Rückkehr der Prostituierten in ein bürgerliches Leben mit allen seinen Schwierigkeiten und Enttäuschungen gezeigt wird. Hierin ist ein Anreiz zu Leichtsinn, Preisgabe und Verzicht auf Moral zu erblicken, der insbesondere auf ungefestigte weibliche Beschauer entsittlichend wirkt (Urteile vom 30. November 1925 und 13. Februar 1928 - nr. 778 und 150).

VI.       Die entsittlichende Wirkung wird vorliegend dadurch erhöht, daß dem angenehmen und verlockenden Leben, das die Bordellmutter den Mädchen bereitet, die sittlich vergiftende Atmosphäre des Elternhauses gegenübergestellt wird und alle Versuche der Thymian, eine Aussöhnung mit dem Vater herbeizuführen, von den das böse Prinzip darstellenden Mächten hintertrieben wird. Durch die Herausarbeitung des Gegensatzes zwischen dem sittlich zerfallenden Elternhaus und der Fürsorge im Bordell wird dem Bildstreifen jede abschreckende Wirkung genommen. Die Bordellmutter tritt als wohlwollende und um ihre Mädchen bemühte Sorgerin in die Erscheinung.
          In schroffem Gegensatz zu dem aufenthalt Thymians im Bordell steht ferner die Darstellung des Lebens in einer Erziehungsanstalt, die der Beschauer für eine Fürsorgeerziehungsanstalt halten muß. Dieser eindruck wird einmal dadurch erweckt, daß Thymian infolge eines sittlichen Fehltrittes Aufnahme findet, zum andern dadurch, daß sich unter den Zöglingen ein Mädchen namens Erika befindet, die, wie man annehmen muß, als minderjähriger Fürsorgezögling aus der Bordellatmosphäre, in die sie nachher wieder zurückkehrt, der Anstalt überwiesen ist. Das Leben in dieser Anstalt verläuft so, daß ein erzieherischer Zweck nicht zu erkennen ist. Die einzelnen Verrichtungen des täglichen Lebens werden peinlich genau nach Taktschlägen der Leiterin ausgeführt, während der Leiter durch harte Behandlung der Mädchen die strenge Zucht aufrechtzuerhalten sucht. Die Art der Darstellung des Verhaltens des Anstaltsvorstehers und seiner Frau lassen den klaren Schluß ziehen, daß die strenge Erziehungsmethode nicht die Besserung der Mädchen zum Ziele hat, sondern daß zweifellos bei beiden in starkem Maße die Befriedigung sadistischer Neigungen eine Rolle spielt. Diese Vermutung wird bestärkt durch die Tatsache, daß verschiedentlich der Vorsteher und seine Frau in Großaufnahmen gezeigt werden, wie ihr Gesicht den Zug grausamer Befriedigung zeigt, wenn sie ihre Zöglinge quälen. So packt der Vorsteher Thymian und auch andere Mädchen wiederholt an der Schulter oder im Nacken, um sie wegzustoßen. Die Vorsteherin taktiert mit dem Stock, um die Zöglinge zu gleichmäßigem Essen, Beten und Ausziehen zu bewegen. Dadurch wird der Eindruck erweckt, als sei es heute durch die mißliche Lage in den Erziehungsheimen für ein erziehungsbedürftiges Mädchen erstrebenswerter, in einem Bordell Aufnahme zu finden als in einer solchen Anstalt.
          Daß hierdurch die entsittlichende Wirkung des Bildstreifens eine wesentliche Verschärfung erfährt, bedarf nicht der Begründung.

VII.      Nachdem hierdurch die Oberprüstelle eine entsittlichende Gesamtwirkung des Bildstreifens festgestellt hat, die seine fernere Zulassung zur öffentlichen Vorführung ausschließt, hat sie sich einer weiteren Nachprüfung dahin überhoben gesehen, ob noch andere gesetzliche Verbotsgründe den Widerruf der Zulassung des Bildstreifens rechtfertigen. Es sei hierzu nur auf die völlig unmögliche Darstellung der Erziehungsanstalt und auf die in der Vermengung von Christentum und Sadismus gegebene Möglichkeit einer Verletzung des religiösen Empfindens verwiesen.
 

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